Was hält die Schweiz zusammen? Es ist die Summe aller kultureller und sozialer Gegensätze auf engstem Raum.

Es gibt auch hierzulande den Kampf zwischen Gewinnern und Verlierern, zwischen Traditionalisten und Fortschrittlichen, zwischen Nationalisten und Internationalen, zwischen Katholiken und Reformierten, zwischen Armen und Reichen, zwischen Städtern und Bauern, zwischen Intellektuellen und Dummen, zwischen Verführern und Verführten und so weiter. Die Crux aber ist, dass diese Gegensätze nicht entlang einer klaren geografischen Bruchlinie gruppiert sind. Vielmehr durchwirken sie sich gegenseitig derart, dass daraus ein außerordentlich stabiles Gewebe entsteht. Ein Geflecht, das stärker verbindet als alle Bünde, Verfassungen und Gesetze, die je geschaffen worden sind.

Dass sich diese Fäden dann eines Tages dennoch verhaspeln, wird zum Schicksal der Schweiz. Die Sezession beginnt damit, dass die in der Verfassung so klug eingeschriebenen Regeln zur Änderung derselben mehr und mehr ausgehebelt werden und dieses Gewebe, für kommende Zeitgenossen zum gordischen Knoten verbunden, nur noch mit dem Schwert durchtrennbar zu sein scheint.

Dramatische und berührende Spurensuche in der Schweiz von morgen: Die etwas andere Heimatgeschichte

An diesem Scheidepunkt stehen sich zwei politische Fraktionen gegenüber, die Linden und die Harten. Auf der Seite der einen Seite, den Linden, steht die eher weltoffene, eher urbane, eher zu Koalitionen neigende Familie Nansé aus dem Welschland, die sich in späterer Zeit der Religion verschreibt. Ihr gegenüber steht die sich lieber abschottende, alpin geprägte, egoistisch handelnde Familie Schwarz aus der Zentralschweiz. Die beiden Seiten sind derart verfeindet, dass es in der Schweiz schließlich zum Bürgerkrieg kommt.

Die äußeren Gründe dafür sind nachhaltige Klimaverschiebungen genauso wie global-ökonomische Verwerfungen, womit eine zunehmend kompromisslose Einflussnahme der Anrainerstaaten auf das (einstige) Wasserschloss Europas einhergeht. Gewinner sind zwar die Linden, aber ihr Sieg ist bitter und die Kontrolle über den Alpenbogen erlangen sie letztlich nicht zurück. Die Harten, die sich auch als Sezessionisten verstehen, verlieren zwar, ihre Haltung überdauert jedoch die nachfolgenden Revisionisten- und Restaurationswirren.

Die Schweiz, die wir nach und nach kennen lernen, ist geprägt durch Zerfall, Misstrauen, Klimawandel, Ressourcenknappheit – Wasser als das »Blaue Gold« – und bürgerkriegsähnliche Fehden zwischen verschiedenen Clans. Alles gemahnt an Vorgänge und Zustände, wie wir sie heute in Ländern aus den weniger entwickelten Regionen kennen oder zu kennen vermeinen …



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Taschenbuch, erste deutsche Ausgabe
Copyright © 2019 Cyrill Delvin
ISBN 978-3-748536-22-2

Viktor Schwarz trieb nur ein Gedanke um, als er dem Kurier das Couvert mit der Aufforderung übergab, dieses seinem Sohn in Schwyz persönlich auszuhändigen. Darin befand sich die alte Ansichtskarte, die über Generationen in der Familie Schwarz weitergegeben worden war. Am Tag hätte er das darauf abgebildete Hotel von hier aus mit bloßem Auge erkennen können, wäre es nicht schon vor Ewigkeiten niedergerissen geworden. Die Karte war eine Erinnerung daran, wo die Familie Schwarz hergekommen war und was für ein Idyll die Einwanderer einst hier vorgefunden hatten. Gleichzeitig war es die Mahnung daran, wofür die Sezessionisten zu töten und zu sterben bereit gewesen waren. Das ist es, woran Viktor Schwarz im letzten Führungsstützpunkt der Harten dachte: Hier also wird es enden.

»General Schwarz, der Stollen ist frei«
»Danke, Leutnant, geben Sie mir Alpha.« Die Verbindung zum Einsatztrupp hinter der Feindeslinie war miserabel.
»Wie nahe?«
»Der Führerstand ist direkt voraus, hundert Meter.«
»Zielpersonen?«
»Warten auf Bestätigung.«
»Okay, Feuererlaubnis nach freiem Willen – der Schuss muss sitzen. Ist das klar?« Die Bitterkeit in seiner Stimme konnte nur erahnen, der wusste, wen er damit treffen wollte. »Jawohl, General, wir töten die Zielpersonen und ziehen uns dann zurück.« »Verstanden und aus.«

Eine schneidend scharfe Bise wehte aus Nordost über die vorgelagerten Hügelketten. Die Schweizerflagge auf der nahen Kuppe flatterte waagrecht im steifen Wind. Die Ränder waren längst zerfranst wie die Gesellschaft, die sich einst darunter versammelt hatte. Niemals mehr würde sie je eingeholt, geschweige denn ersetzt und neu aufgezogen werden.

Schweizer Karte der Bedrängnis
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Schweizer Karte der Bedrängnis
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